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Aktuelles

Das „Clavierwerk des Monats“

Eine Zusammenstellung von Tastenmusik, die für das Clavichord geschrieben ist oder die auf ihm gespielt zu werden denkbar wäre.

Clavierwerk des Monats

Vorbemerkung

Gewiß, es gibt eine Unmenge gedruckter Noteneditionen, und die Menge an Tastenmusik, die das Internet zur Verfügung stellt, ist in den letzten Jahren in kaum mehr zu überblickender Weise gewachsen – gleichwohl mag eine Unternehmung ihre Berechtigung haben, die hiermit, im dritten Jahr der Coronavirus-Pandemie, begonnen sei und die, so hoffen wir, uns alle wenigstens bis zu deren Ende erfolgreich begleiten wird.

Die Rede ist von der Idee, an dieser Stelle monatlich ein Musikwerk vorzustellen, von dem wir meinen, dass ihm Beachtung zu schenken sich lohnt – sei es wegen seines künstlerischen Werts, wegen einer mit ihm verbundenen besonderen Spielweise oder ‑technik, wegen seiner wenn nicht musikalischen, so doch vielleicht historischen Bedeutung oder aus anderen Gründen.

Was wir dabei als Musikwerk bezeichnen, mag ein einzelnes, eigenständiges und in sich abgeschlossenes Stück sein oder nur Teil einer Komposition, die der Vervollständigung bedarf, beispielsweise durch die davorstehenden und nachfolgenden Tänze einer Claviersuite oder die zugehörige Fuge nach einem sie vorbereitenden Praeludium: beide Möglichkeiten seien in Erwägung gezogen, und fallweise werde so oder so entschieden.

Darüberhinaus wollen wir offenlassen, ob das angesprochene Musikwerk frei zugänglich und zu verteilen ist, ob wir selbst über die Rechte zur Veröffentlichung verfügen (oder die Erlaubnis eingeholt und erhalten haben) oder ob wir auf dieses nur erklärend hinweisen können. Wenn forensisch und technisch möglich, wollen wir es via Link zum Herunterladen verfügbar machen; andernfalls aber eine Bezugsmöglichkeit nennen.

Bleibt zu klären, was wir in diesem Zusammenhang unter Clavier und Clavierstück verstehen – eine Frage, die nicht wirklich leicht zu beantworten ist. Kenner wissen, dass mit dieser Begriffssetzung Unterschiedliches verbunden war, abhängig von dem Land und der Zeit, wo davon die Rede war, und, nicht zu vergessen, dem gerade herrschenden Geschmack sowie, zumindest bei gedruckten „Sachen“, den Zielvorstellungen des Druckers und/oder Verlegers.

Was die Frühzeit angeht, sei an Sebastian Virdung und seine „Musica getutscht und ausgezogen“ von 1511 erinnert:

„… dann was du uff dem clavicordio lernest/ das hast du dann gut und leichtlich spielen zu lernen/ uff der Orgeln/ uff dem Clauizymell/ uff dem virginale/ unnd uff allen andern clauierten instrumenten“.

Eine Aussage, die Michael Praetorius in seinem „Syntagma musicum“ 1618 ebenso bestätigt wie 1732 Johann Gottfried Walther, Vetter zweiten Grades von J. S. Bach, in seinem „Musikalischen Lexikon“ – wobei letzterer hinzufügt:

„Dieses sehr bekannte Instrument ist, so zu reden, aller Spieler erste Grammatica.“

Jacob Adlung geht dann in seiner „Anleitung zur musikalischen Gelahrtheit“ von 1758 so weit zu sagen:

„Ob schon das Wort Clavier sonst einen weitläufigen Verstand hat, versteht man doch vorzüglich das Clavichord dadurch.“.

Womit er der Tendenz des 18. Jahrhunderts folgt, das von dem Cembalo meist als dem „Flügel“ spricht und von dem Clavichord als „Klavier“ (zunehmend nun mit „K“ geschrieben).

Das damit mögliche Spannungsfeld sei abschließend durch Christian Gottlob Neefe (1748–1798) angedeutet, den Lehrer Ludwig van Beethovens in Bonn. Dessen „Zwölf Klavier-Sonaten“ (so der genaue Titel von 1773), die übrigens niemand anderem als Carl Philipp Emanuel Bach gewidmet sind, gehen einleitende Worte voraus, die „Liebhaber des Klavichords“ betreffend. Dort liest man:

„Diese Sonaten sind Klaviersonaten. Ich wollte daher, dass sie auch nur auf dem Klaviere (gemeint: Clavichord) gespielt würden; denn die meisten werden auf dem Flügel (gemeint: Cembalo), oder Pianoforte wenig Wirkung thun, weil keines von beyden des Kantabeln und der verschiedenen Modifikation des Tons so fähig ist, als das Klavier …“
Clavierwerk des Monats Zitat Ausschnitt

Also: Wir möchten hier ganz bewusst alle Wege offenhalten. Es mögen Stücke in unsere Auswahl kommen, die klar und eindeutig dem Clavichord zugedacht waren oder sind; andererseits wollen wir durchaus auch Kompositionen in sie aufnehmen, die zunächst garnicht für unser Instrument konzipiert und geschrieben sind, sich dafür aber doch irgendwie eignen (oder eignen könnten) – der Witz mag ja gerade darin bestehen, interpretatorisch Neues zu versuchen und, bei Musik insbesondere des 20. und 21. Jahrhunderts, zu experimentieren!

Bevor wir nun aber starten, einige Worte zur Abbildung am Kopf dieser Seite. Immerhin handelt es sich um den ersten Abschnitt der 30. (und zugleich letzten) der sog. Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, überschrieben Variatio 30 a 1 clav. Quodlibet. Diese haben wir – vielleicht allzu vordergründig – ausgewählt

  1. da sie ihrer Titelbezeichnung nach als eine Clavierübung zu sehen ist (letztlich schließt sie Bachs eigenen Zyklus von vier Clavier-Übungen ab),
  2. da sie ein Quodlibet darstellt, womit auch textliche Aussagen einbezogen werden („Zwei Volkslieder treiben sich darin herum“, schrieb einst Albert Schweitzer) und
  3. da sie (wie der Rest der Goldberg-Variationen und weitere Werke Bachs) von Balthasar Schmid(t) gestochen wurde, von dem als Musiker und Komponisten das 2. Clavierwerk des Monats in unserer Auswahl stammen wird.

Schlussendlich sei noch zum Ausdruck gebracht, dass wir weiteren Vorschlägen für ein „Clavierstück des Monats“ (insbesondere, wenn mit einer Begründung verbunden) gerne entgegensehen.


Die Monatsstücke

(Details zu den Werken werden sichtbar nach Klick auf den jeweiligen Titel)

I/2022

  • Johann Sebastian Bach (1685–1750)
    Variatio 30 a 1 Clav. Quodlibet,
    die letzte der sog. Goldberg-Variationen, genauer: der Aria mit verschiedenen Verämderungen vors Clavizimbal mit 2 Manualen (1741/42). Vorab bereits sei festgehalten, dass das Titelblatt zwar von einem zweimanualigen Instrument spricht, dass Bach bei der Mehrzahl der Einzelsätze jedoch angemerkt hat, ob sie a 1 Clav., a 2 Clav. oder aber a 1 ò vero 2 Clav. gedacht sind; und danach ist das Quodlibet eindeutig für eine einmanualige Ausführung bestimmt.

Die Goldberg-Variationen erhielten ihre nachgetragene Bezeichung auf der Grundlage dessen, was Johann Nikolaus Forkel 1802 über „Johann Sebastians Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke“ schrieb. So seien diese „der Veranlassung des ehemaligen Russischen Gesandten am Chursächs. Hofe, des Grafen Kaiserling zu danken“; Bach habe sie für Johann Gottlieb Goldberg zusammengestellt, einen ehemaligen Schüler, jetzt des Fürsten Hofmusikus, damit dieser „dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte.“ Ob dem so war, gilt als umstritten. Fest aber steht, dass von eigener Hand eingetragen die „Aria“ sich schon im „Klavierbüchlein der Anna Magdalena Bach“ findet, das „1725“ überschrieben ist und zu diesem Zeitpunkt zu erarbeiten begonnen wurde. Man nimmt an, dass die Aria ihren Platz darin in den Jahren 1733–1741 fand.

Die Goldberg-Variationen gelten als technisch durchgehend anspruchsvoll. Strukturell handelt es sich um 30 „Veränderungen“ über die Bassline (!) der Aria, 32 Takte lang, die als Sarabande aufgefasst werden kann und da capo das Gesamtwerk auch abschließt. Diese besitzt große Ähnlichkeit mit dem Bass einer Sarabande mit 12 Variationen von Johann Christoph Bach, einem Onkel, und einer Chaconne Henry Purcells, betitelt A ground in gamut. Ihre Anfangstakte finden sich wörtlich in der Bassführung der Chaconne G-Dur HWV 442 (mit 62 Variationen) von Georg Friedrich Händel wieder, die 1703–1706 entstand und 1733 in London in dessen Suites de Pièces pour le clavecin veröffentlicht wurde. Als Einzelstück war die Chaconne allerdings bereits 1732 in Amsterdam bei G. F. Witvogel erschienen, einem Organisten und Verleger, von dem Editionen im Vertrieb unter anderem „bey dem Kapellmeister Bachen auf der Thomasschule zu Leipzig“ zu bekommen waren …

Die Gesamtheit der 30 „Veränderungen“ besteht aus zehn Gruppen zu je drei Variationen, deren jeweils erste, meist für nur ein Manual entworfen, eher tänzerischen Charakter hat, während die zweite bevorzugt a 2 Clav. angelegt ist und Virtuosität und Technik betont. Jede dritte Variation stellt einen Canon dar (all’Unisono, alla Seconda … bis alla Nona), wobei Bach an die Stelle des erwarteten 10. alla Decima das Quodlibet gesetzt hat. Und die Veränderungen in ihrer Gesamtheit sind in zwei Hälften unterteilt, deren zweite folgerichtig mit Nr. 16, Ouverture a 1 clav. beginnt.

Die nicht als Kanon gekennzeichneten Variationen tragen (ausgenommen Nr. 10 Fugetta und die Ouverture) keine sie beschreibenden Titel; bei Nr. 7 liest man al tempo di Giga, bei Nr. 15 (ein Kanon) andante, bei Nr. 22 alla breve und bei Nr. 25 adagio. Insgesamt hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass hier mehrheitlich die Tanzsätze einer Suite vorliegen, wobei neben üblichen höfischen Formen wie Sarabande (für die Aria) und Gigue Variation 1 eine erste Polonaise (a 1 Clav.) darstellen könnte. Ihr folgten weitere neun (?) nach, überwiegend zweimanualig instrumentiert – so jedenfalls Heinz Hermann Niemöller (1985), der dies als eine von zwei „Signaturen“ Johann Sebastians sah, bezogen auf die erste der beiden im Titelkupfer genannten Positionen, wo Bach als Königl. Pohl. u. Churfl. Sächs. Hoff Compositeur, Capellmeister u. Director Chori Musici in Leipzig bezeichnet wird. In besonderem Maße hätten sich gerade auch Wilhelm Friedemann Bach (1710–1784) und Johann Gottlieb Goldberg (1727–1756) dieser noch jungen Tanzform angenommen.

Was nun das Quodlibet angeht, führt H. H. Niemöller aus, dass damit Bachs Funktion als sächsischer Kapellmeister angesprochen sei – womit die im Titel als Zweites genannte berufliche Position ihre musikalische Signatur bekommen habe. Kein Zufall also, dass die beiden dem Quodlibet zugrundegelegten Weisen thüringisch-sächsischem Liedgut entstammten.

Johann Christian Kittel, Schüler in Bachs letzten Lebensjahren, schrieb einst dazu:

“In dem letzten Quodlibet sind von zweyen ehemaligen Volksgesängen: Ich bin so lang nicht bey dir gewesen, Rück her, rück her etc und Kraut und Rüben haben mich vertrieben etc die Melodien in eine kunstreiche harmonische Verbindung gebracht.“

Weiter schreibt er:

„Das Thema der erstern fängt im ersten Tact in der Tenorstimme an und wird im zweyten vom Diskant nachgeahmt, und zwar in der Oktave. Das Thema der zweyten hebt im 2ten Takt im Alt an und wird im 3ten vom Diskant in der Quinte nachgeahmt.“

Wobei noch anzufügen wäre, dass beide von Valentin Rathgeber in seine Sammlung „Ohren-vergnügendes und Gemüths-ergötzendes Tafel-Confect“ von 1733/1739 aufgenommen worden sind. Beide finden sich auch in einem Quodlibet von Johann Heinrich Schmelzer 1671 „eingebaut“.

Clavierwerk des Monats Zitat Ausschnitt

Nach Thomas Braatz (2005) zeichnet sich das Quodlibet durch folgende Gegebenheiten aus:

  1. Läst man die Aria selbst und Variation 22 beiseite, wird hier die dem ganzen Geschehen zugrunde liegende Basslinie am deutlichsten sichtbar.
  2. Bereits mit der allerersten Note beginnt “Ich bin so lang nicht bei dir g’west”, das über den Einsatz des „Rübenlieds“ hinaus fortgeführt wird, jedoch im Quodlibet nicht wirklich vollständig vorkommt.
  3. Die „Rübenweise“ erscheint demgegenüber in voller Länge, wenn auch unter Wechsel der jeweiligen Stimmlage; kanonische Einsätze betreffen sie in besonderem Maße.
  4. Es finden sich Anklänge an Jan Pieterszoon Sweelinck („Mein junges Leben hat ein End“), an die Choralmelodie „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ und an Passagen der 1742 erstmals aufgeführten Bauernkantate BWV 212 („Mer hahn en neue Oberkeet“). Erstmals belegt findet sich die Melodie im Jahre 1570.

Und nicht zuletzt bestehen enge Beziehungen von „Kraut und Rüben“ zum weitverbreiteten Tanztypus der Bergamasca, ursprünglich nur ein harmonisches Modell der Stufen I – IV – V – I, wie bei Johann Jakob Froberger überliefert und von Samuel Scheidt und anderen verwendet. Sicher scheint, dass Bach zwei dieser Werke gekannt hat: die Bergamasca am Ende der Fiori musicali von Girolamo Frescobaldi (mit dem Zusatz: Chi questa Bergamasca sonarà, non pocho imparerà) und, mehr noch, Dietrich Buxtehudes Aria: La Capricciosa mit 32 (!) Partite diverse (BuxWV 250), zu der Bachs „Arie“ womöglich eine ganz bewusste Antwort ist.

Wie dem auch sei: Ein spielerischer, improvisatorischer Umgang mit solcherlei Themen im Bachschen Familienkreis war wohlbekannt.

„Sein ernsthaftes Temperament zog ihn zwar vornehmlich zur arbeitsamen, ernsthaften, und tiefsinnigen Musik; doch konnte er auch, wenn es nöthig schien, sich, besonders im Spielen, zu einer leichten und schertzhaften Denkart bequemen.“

So liest man im Nekrolog, den Carl Philipp Emanuel Bach und Johann Friedrich Agricola 1751 „zusamgestoppelt“ haben.

Und die Texte des Quodlibets? „Kraut und Rüben“ ob der aufwändigen, vielschichtigen Arbeit an den Variationen mögen das Eingangsthema der Aria vertrieben oder in den Hintergrund gedrängt haben. „Ich bin so lang nicht bei dir g‘west“ bedeutete dann, es sei Zeit, nun zum Ende zu kommen – was denn auch mit der Wiederholung der Aria geschieht.

Und bezogen auf die Gesamtheit der Teile I, II, III und (von Bach selbst nicht nummeriert:) IV schreibt Malcolm Boyd:

„Mit den Goldberg-Variationen kam die Veröffentlichung der „Clavier-Übung“ zu ihrem Ende, mit ihr Bachs mittlere Schaffensperiode in Leipzig. In den beiden auffälligsten Charakteristika dieses Variationszyklus haben sich aber Bachs Hauptabsichten für sein Spätwerk angekündigt: der systematische Umgang mit der Kanontechnik und die Verarbeitung eines einzigen Themas in Werken von großen Ausmaßen.“

Link zur Ansicht und zum Download

Literatur:

Malcolm Boyd: Johann Sebastian Bach. Leben und Werk (Stuttgart 1985). Thomas Braatz: The Quodlibet as Represented in Bach’s Final Goldberg Variation BWV 988/30 (Link zur Quelle). Martin Geck: Bach. Leben und Werk (Reinbek 2001). Heinz Hermann Niemöller: Polonaise und Quodlibet. Der innere Kosmos der Goldberg-Variationen. In: MusikKonzepte 42 (München 1985). Albert Schweitzer: J. S. Bach (Wiesbaden 1979). Peter Williams: J. S. Bach. Ein Leben in der Musik (Berlin 2008). Christoph Wolff: Johann Sebastian Bach (Frankfurt/M., 2000)

II/2022

  • Balthasar Schmid(t) (1705–1749)
    Clavier Übung [G-Dur] bestehend in einem Andante, Allegro, Siciliana, Menuet, Trio …, Nr. 5, Nürnberg 1738
    Quelle: Bibliotheek Koninklijk Conservatorium Brussel/Bibliothèque Conservatoire royal Bruxelles, Signatur B–Bc 13.528

Balthasar Schmid(t) (1705–1749) war ein Nürnberger Organist und Komponist und einer der bekanntesten deutschen Musikverleger des 18. Jahrhunderts. Bereits 1728 tat er sich als Stecher hervor, und 1729 begann seine musikalische Verlagstätigkeit zunächst mit einem eigenen Divertissement musical, ou Pieces de Musique pour le Clavecin. Diese weitete sich aber bald aus, und nach 1738 stehen in seinem Katalog Namen wie Christoph Nichelmann, Johann Ludwig Krebs, Georg Andreas Sorge und Friedrich Wilhelm Marpurg. J. S. Bachs 1739 im Selbstverlag erschienener Dritter Theil der Clavier Übung wurde zu zwei Fünfteln von ihm selbst und zu weiteren zwei Fünfteln in seiner Werkstatt gestochen. In der Folge übernahm Schmidt Stich und Verlag der Goldberg-Variationen, 1748 verantwortete er Einige canonische Veränderungen über das Weynacht-Lied: ‘Vom Himmel hoch, da komm ich her‘. Außerdem fertigte er die Preußischen Sonaten Carl Philipp Emanuel Bachs sowie Werke Georg Philipp Telemanns. Nach Balthasar Schmidts Tod führte die Witwe den Verlag noch fast zwei Jahrzehnte weiter.

Schmidt war für seine Genauigkeit und die klare Lesbarkeit seiner Drucke bekannt, was für diese Zeit nicht selbstverständlich war. Und obwohl wesentlich kleiner als die Unternehmen Roger Le Cènes in Amsterdam oder John Walshs in London, war das seinige allseits geschätzt und beachtet. 1792 wird es heißen, Schmidt habe „gleichsam den ersten Bach zu dem Meere von gestochenen Noten für Liebhaber“ geleitet.

Schmidts eigene sieben Clavier-Übungen wurden als Einzeldrucke zwischen 1733 und 1748 herausgegeben und beinhalten diverse Tänze sowie italienisch betitelte Sätze, die wie Suiten aufgebaut sind. Wir geben davon die erste Hälfte der fünften Clavier Ubung, Andante, Allegro, Siciliana, Menuet, Trio, etc., von 1738 wieder. Vollständig ist diese Suite enthalten in der Jubiläumsedition I zum 20. Jahrestag der Gründung unserer Societät, wo auch ein Link zum Bezug des Notenbands angegeben ist. Mit herzlichem Dank an Sally Fortino, neben Paul Simmonds Mitherausgeberin der Ausgabe und verantwortlich für deren umfangreicheren zweiten Teil!

Nicht unerwähnt bleibe, dass etlichen der Tastenmusikwerke Schmidts die Worte vors Clavier gesetzt beigefügt sind; auch gibt es Neu komponirte und Unterschiedliche Menuete, welche sowohl auf der Violin, samt dem darzu accompagnirten General-Baß, als auf dem Clavier allein, nach Belieben können gespielet werden (1730 und 1732) – Clavier im Sinne von Clavichord!?

Link zur Ansicht und zum Download

Literatur:

Horst Heussner: Der Musikdrucker Balthasar Schmid in Nürnberg. In: Die Musikforschung 16:348 62 (1963). Sally Fortino und Paul Simmons: Collectio Operum Musicorum Celebrationibus Festis vicesimi Diei Natalis DCS … welche auf allerley clavirten Instrumenten vorzüglich jedoch auf dem Clavicordio können Tractiert werden. Berlin 2013.

III/2022

  • Friedrich Wilhelm Marpurg (1718–1795)
    No. XI. Fuga, entnommen dem zweiten „Versuch in figurirten Chorälen und Fugen so wohl für die Orgel, als für das Clavichord“, Berlin/Amsterdam [1792]
    Quelle: Bibliotheek Koninklijk Conservatorium Brussel/Bibliothèque Conservatoire royal Bruxelles, Signatur B–Bc 13.528

Friedrich Wilhelm Marpurg (1718–1795) wurde auf dem „Seehof“ geboren (der Name wechselte später), einem Gut leicht nördlich der Straße Wendemark – Werben in der Altmark, etwa auf halber Strecke zwischen Hamburg und Berlin gelegen. Die Großväter waren Bürgermeister von Seehausen und Werben, und es bestanden verwandtschaftliche Beziehungen zu dem Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim.

Nach dem Besuch des Gymnasiums in Neukölln studierte Marpurg Jura zunächst in Jena und dann in Halle. Hier traf er unter anderem Johann Joachim Winckelmann, mit dem er brieflich in Verbindung blieb; später war er namentlich mit Gotthold Ephraim Lessing freundschaftlich verbunden. Eine Spottschrift, die er auf einen der Jenaer Hochschullehrer drucken ließ, so bezeugt es Winckelmann, nötigte ihn dann aber, außer Landes zu gehen, „wo er sieben Jahre, bis nach beendigtem Prozesse und nach dem Tod des alten Magisters bleiben mußte.“

So findet man ihn, auch musikalisch ausgebildet, 1746 in Paris als Privatsekretär eines deutschen Generals. Er kommt mit J. Ph. Rameau in Berührung, mit A. le Rond d’Alembert und lernt Voltaire kennen, doch wurde, wie er später schrieb, „ein ererbtes gutes Vermögen auf seinen Reisen gänzlich verzehret“. Gegen 1746 wieder zurück in Berlin, entwickelt sich Marpurg zu einem der bedeutendsten Musiktheoretiker und –kritiker seiner Zeit. Auf der Suche nach einem Brotberuf wird er 1763 Mitarbeiter der königlichen Lotterie in Berlin und wenig später deren Direktor. In vielfältiger Weise nimmt er am Musikleben der Doppelstadt teil.

Marpurg komponierte; er gab Zeitschriften heraus (so den Critischen Musicus an der Spree oder die Kritischen Briefe über die Tonkunst) und schrieb Lehrwerke, darunter Die Kunst das Clavier zu spielen (erstmals 1750) und eine Anleitung zum Clavierspielen der schönen Ausübung der heutigen Zeit gemäss (1755). Er trat für die Pflege der Werke J. S. Bachs ein; die 2. Auflage der Kunst der Fuge (1752) versah er mit einem aufschlußreichen „Vorbericht“, und seine Abhandlung von der Fuge … (1753/54) ist die erste große das Thema behandelnde Monographie. Auch veröffentlichte er eine Systematische Einleitung in die Musicalische Setzkunst, nach den Lehrsätzen des Herrn Rameau. Aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen vermehret  (1757) ganz im Sinne der Aufklärung. Charles Burney sah in ihm „perhaps the first German theorist that could patiently be read by persons of taste“.

Aus Marpurgs Werken wählten wir eine Fuge aus dem zweiten „Versuch in figurirten Chorälen und Fugen so wohl für die Orgel, als für das Clavichord“, erschienen in Berlin und Amsterdam in den Jahren 1791/92. Zusammen mit dem ersten „Versuch in figurirten Chorälen“ widmete Marpurg damit 1 Capriccio, 7 Fugen und 28 Choräle nicht nur der Orgel, sondern auch unserem Clavichordinstrument. Als Besonderheit enthält ein „Nachbericht“ (am Ende von Teil I) dazu Hinweise, wie man auch jene Sätze auf einem Clavichord ohne Pedal umsetzen könne, die mit Blick auf die Orgel auf drei Systemen notiert sind. Eine Gesamtausgabe dieser Sätze haben wir 2018 als Jubiläumsedition II im Verlag Musiche Varie veröffentlicht, die über den Vorstand der DCS mit einem Preisnachlass bezogen werden kann.

Link zur Ansicht und zum Download

Literatur:

Kathrin Eberl-Ruf und Carsten Lange: Friedrich Wilhelm Marpurg. Musiktheoretiker, Komponist und Publizist in der Zeit der Aufklärung. Bericht zum Symposium anlässlich seines 300. Geburtstages, Werben (Elbe) 2018, Beeskow 2020. Peter Rummenhöller: Die musikalische Vorklassik. Kassel 1983.


 
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